Wie eine Operation am offenen Herzen
Renovieren im bewohnten Zustand: In Winterthur-Wülflingen hat Terresta bei einer kleinen Liegenschaft erprobt, wie eine sozialverträgliche Renovation gelingen kann.

Das Haus am Rebenweg 8 ist ein typischer Vertreter seiner Zeit: effizient geschnitten, kein Schnickschnack, reduziert aufs Wesentliche. Es wurde 1951 gebaut und besteht aus sechs 4-Zimmer-Wohnungen. Seit der Erstellung wurde das Gebäude nur minimal instand gehalten – eine eingehendere Renovation war dringend nötig.
Innerhalb von gut fünf Monaten erhielt das Haus eine gedämmte Gebäudehülle, neue Fenster, eine Wärmepumpe zur Wärmeerzeugung sowie eine Photovoltaikanlage auf dem Dach. Zudem wurden die Wasserleitungen saniert und die Küchen und Bäder erneuert. Und all das, während die Mieter:innen in den Wohnungen lebten.
Denn: Wir wollen, dass die Menschen in ihren Wohnungen bleiben können. Die Mieter:innen wohnen teilweise schon seit Jahrzehnten am Rebenweg 8 – den einfacheren Weg über Leerkündigung einzuschlagen wäre nicht mit unserem Grundsatz «Fair und engagiert» vereinbar gewesen.
Lärm und Staub sind unvermeidbare Begleiter
Renovieren, während noch gewohnt wird – das könnte auch als Operation am offenen Herzen bezeichnet werden. Für die Mieter:innen ist das mit Einschränkungen und Unannehmlichkeiten verbunden. Das Haus wird eingerüstet, Handwerker gehen ein und aus. Während der Strangsanierung sowie bei der Erneuerung der Bäder und Küchen muss auf Sanitärcontainer, Wasserstationen und mobile Kochmöglichkeiten ausgewichen werden – am Rebenweg war dies während rund vier bis acht Wochen der Fall. Werden die Fenster und Elektroleitungen ersetzt, müssen Möbel verschoben werden. Lärm und Staub sind unvermeidbare Begleiter. «Das Anspruchsvolle bei einer Renovation im bewohnten Zustand ist die Balance zwischen ‹Bauen› und ‹Rücksichtnahme›», sagt Nicola Claus der Puls Baumanagement GmbH. Er hat die Renovation am Rebenweg als Bauleiter betreut. Wichtig sei eine gut getaktete Etappierung, «um Einschränkungen so kurz wie möglich zu halten.» Am Ende käme es vor allem auf etwas an: Respekt für den Alltag der Bewohner:innen. «Dann entsteht trotz Baustelle Vertrauen.»
«Am Ende kommt es vor allem auf etwas an: Respekt für den Alltag der Menschen.»
Nicola Claus, Bauleiter
Frühe und direkte Kommunikation
Wer bewohnt renoviert, muss der Kommunikation einen hohen Stellenwert verleihen – vor und während der Arbeiten. Die Bewohner:innen des Rebenweges wurden im Herbst 2024 an einem Infoanlass detailliert über das Vorhaben ins Bild gesetzt und ihre Fragen wurden beantwortet. Bis zum Baustart im Juli erhielten sie weitere Details und konkrete Termine. Während der Renovationszeit konnten die Mieter:innen über einen WhatsApp-Chat mit der Bauleitung und den Bewirtschafter:innen kommunizieren – oder direkt vor Ort. «Das hat gut funktioniert», sagt Maria Demasi, welche eine Wohnung im Erdgeschoss bewohnt.
Weniger gut geklappt habe der Infofluss zu den Handwerkern vor Ort: Oft seien sie über Abmachungen mit der Bauleitung nicht instruiert gewesen, meint Maria Demasi. Aber sie hat geschätzt, dass die Bauleitung bei Problemen oder Fragen immer schnell reagiert hat. «Ein grosser Unterschied zur Renovation eines leeren Gebäudes ist das direkte Feedback», sagt Nicola Claus. Durch die konstante Nähe entstehe automatisch ein persönlicher Kontakt – und dieser war durchaus wohlwollend: «Ich wurde von einer Mieterin immer wieder mit selbstgemachten Spezialitäten – Konfitüre oder scharfe Sauce – versorgt.» Janine Berger, Immobilienbewirtschafterin bei Terresta, sagt, die Mieter:innen am Rebenweg 8 seien sehr tolerant gewesen, «obwohl die Situation natürlich belastend ist.» Man habe auch gemerkt, dass im Haus unter den Bewohner:innen ein grosser Zusammenhalt herrsche und man sich aushelfe. Das bestätigt auch Maria Demasi. Der rege Austausch unter den Mieter:innen habe auch geholfen, Sprachbarrieren zu überwinden: «Oft sind sie erst zu mir gekommen mit Fragen und ich habe ihnen dann beim Formulieren einer Nachricht geholfen», erinnert sie sich.


Moderate Mietzinserhöhung
Die Strapazen haben sich gelohnt: Das Haus konnte für die Zukunft fit gemacht werden. Die Mieter:innen freuen sich über erneuerte Küchen und Bäder und die energetischen Verbesserungen, denn die Wärmepumpe und die Photovoltaik-Anlage sorgen für tiefere Nebenkosten. «Wir merken bereits jetzt, dass wir weniger heizen müssen», sagt Maria Demasi. Apropos Kosten: Gemäss Gesetz können 50 bis 70 Prozent der Renovationskosten auf die Mieter:innen überwälzt werden. Eine so hohe Mietzinserhöhung wollte Terresta aber nicht, schliesslich sollen die Mieter:innen in den Wohnungen bleiben können. Sie entschied sich darum, nur ca. 25 % auf den Mietzins aufzurechnen. Für die Zeit der Bauarbeiten werden den Mieter:innen pauschal 400 Franken Mieterlass pro Monat gewährt.
Die Renovation am Rebenweg war für Terresta ein Pilotprojekt. Wir haben hier im Kleinen umgesetzt, was wir in den nächsten Jahren im grossen Stil planen: Rund 400 Wohnungen werden an der Burgstrasse etappenweise über mehrere Jahre im bewohnten Zustand renoviert, ebenso 45 Wohnungen am Hobelwerkweg. «Es ist gut, haben wir mit dieser Liegenschaft begonnen», sagt Janine Berger. «Wir haben hier viel gelernt.»

Text
Silvan Staub
Fotos
Goran Potkonjak